Berlin. Am Donnerstag wird eines der großen sozialpolitischen Reformvorhaben in dieser Legislaturperiode im Deutschen Bundestag verabschiedet: Das Bundesteilhabegesetz stärkt die gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen deutlich.
Die Reform läutet einen entscheidenden Systemwechsel ein: Die heutige Eingliederungshilfe wird aus dem Fürsorgesystem der Sozialhilfe gelöst und in das Neunte Sozialgesetzbuch integriert. Damit werten wir das SGB IX zu einem neuen Leistungsgesetz auf. Diese Aufwertung bringt entscheidende Verbesserungen für die heute knapp 700.000 Menschen, die Leistungen der Eingliederungshilfe beziehen. Künftig können sie mehr von ihrem Einkommen und Vermögen zurücklegen. Ehepartner werden nicht mehr zur Finanzierung herangezogen. Das ist gegenüber geltendem Recht ein erheblicher Fortschritt.
„Das Bundesteilhabegesetz ist ein kompliziertes, aber auch ein sehr wichtiges Gesetz. Wir verbessern die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen. Künftig steht der Mensch im Mittelpunkt. Was Menschen wegen ihrer Behinderung an Unterstützungsleistung bekommen, ist dann nur noch davon abhängig, was sie brauchen und was sie möchten und nicht länger vom Wohnort“ resümiert die Trierer SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Katarina Barley.
Zum Gesetzentwurf haben vor allem die Verbände von Menschen mit Behinderungen viel Kritik geäußert. Deshalb hat Barley im September das Gespräch mit verschiedenen Einrichtungen, Organisationen und Betroffenen gesucht. In den parlamentarischen Beratungen wurden anschließend nochmals viele Verbesserungen erreicht.
Barley wehrt sich auch gegen Kritik aus der Opposition: „Bereits die Kabinettsfassung sah Mehrausgaben von bis zu 700 Millionen Euro jährlich vor. Von einem Spargesetz kann hier keine Rede sein.“
Hintergrundinformationen:
Im Einzelnen wurden folgende Verbesserungen in den parlamentarischen Beratungen erreicht:
- Der Zugang zur Eingliederungshilfe wird nicht eingeschränkt. Deshalb fallen die strittigen Regelungen „5 aus 9“ bzw. „3 aus 9“ vorerst weg. Stattdessen wird der Zugang zunächst evaluiert, bis auf Grundlage gesicherter Daten ein neuer Zugang zum 1.1.2023 in Kraft tritt. Bis dahin bleiben die derzeitigen Zugangskriterien bestehen.
- Besonders wichtig war es der Koalition, das Arbeitsförderungsgeld für die rund 300 000 Beschäftigten in Werkstätten auf künftig 52 Euro zu verdoppeln. Zudem wird der Vermögensfreibetrag für Menschen, die nicht erwerbsfähig sind und Leistungen der Grundsicherung beziehen, von derzeit 2.600 auf 5.000 Euro angehoben. Diese Regelung erfasst alle Bezieher von Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII und ist ein wichtiges Signal für die Betroffenen.
- Selbstbestimmtes Wohnen ist eine zentrale Voraussetzung für Teilhabe. Daher haben wir im Gesetz den Vorrang von Wohnformen außerhalb von besonderen Wohnformen festgeschrieben. Zugleich nehmen wir bei mit dem Wohnen im Zusammenhang stehenden Assistenzleistungen die Wünsche der Betroffenen stärker in den Blick. Das Wunsch- und Wahlrecht wird damit nochmals stärker als Entscheidungsgrundlage festgehalten.
- Leistungen der Pflege und der Eingliederungshilfe werden auch in Zukunft nebeneinander gewährt. Es wird keinen Vorrang der Pflege vor der Eingliederungshilfe geben.
- Zudem werden die neuen Leistungen für Bildung auch für den Besuch weiterführender Schulen sowie für schulische berufliche Weiterbildung gelten.
Das war bereits in der Kabinettsfassung enthalten:
- Zu mehr Teilhabe gehört die Verbesserung der Einkommens- und Vermögensberücksichtigung in der Eingliederungshilfe.
- Der Schonbetrag für Barvermögen wird ab 2017 von 2.600 Euro auf 27.600 Euro erhöht und damit verzehnfacht. Der Freibetrag für Erwerbseinkommen wird um 260 Euro / Monat erhöht. Ab 2020 erhöht sich der Schonbetrag auf rund 50.000 Euro.
- Beim Arbeitseinkommen wird ab dem Jahr 2020 ein vom Gesamtbruttoeinkommen des Leistungsbeziehers der Eingliederungshilfe abhängiger Eigenbeitrag festgelegt.
- So werden von allen Einkünften von Beschäftigten, die über 30.000 Euro Bruttoeinkommen im Jahr liegen, monatlich zwei Prozent des Jahresbruttoeinkommens angerechnet. Wer beispielsweise 50.000 Euro brutto im Jahr verdient, muss auf 20.000 Euro einen Eigenbeitrag in Höhe von monatlich 400 Euro bzw. jährlich 4.800 Euro leisten.
- Diese Verbesserungen beim Einkommenseinsatz führen dazu, dass einem Menschen mit Behinderungen mit einem Jahresbruttoeinkommen von z.B. 30.000 Euro 300 Euro monatlich bzw. 3.600 Euro jährlich mehr zur Verfügung stehen.
- Ehepartner werden nicht mehr zur Finanzierung herangezogen. Das ist gegenüber geltendem Recht ein erheblicher Fortschritt.
- Der Bund wird künftig rund 60 Millionen Euro in eine unabhängige Beratung investieren, damit Betroffene und ihre Familien gut informiert und ausreichend unterstützt werden.
- Mit dem `Budget für Arbeit` schaffen wir neue Beschäftigungschancen für Werkstattbeschäftigte auf dem ersten Arbeitsmarkt.