Mit der „Eine-für-Alle-Klage” – der Musterfeststellungsklage – werden Verbraucherinnen und Verbraucher einfacher und kostengünstiger zu ihrem Recht kommen. Das entsprechende Gesetz hat der Bundestag am 14. Juni 2018 in 2./3. Lesung beschlossen.
Wer kennt das nicht: Man hat das Gefühl, über den Tisch gezogen zu werden, aber die Hürde, sein Recht auch durchzusetzen, erscheint zu hoch. Ich denke hier vor allem an rechtswidriges Verhalten und Täuschungen, vor allen Dingen von großen Konzernen wie zum Beispiel unzulässige Bearbeitungsgebühren bei Kreditinstituten, an unwirksame Preisklauseln von Energie- und Telekommunikationsanbietern oder auch an mangelhafte Produkte.
Wer Recht hat, muss auch Recht bekommen
Ein großes Problem ist, dass bisher jeder und jede Einzelne seine Rechte vor Gericht von Anfang bis Ende allein durchfechten muss. Das kostet viel Geld, das kostet viel Zeit, und es ist in manchen Fällen frustrierend. Aufgrund des Risikos, den Rechtsstreit zu verlieren und dann die Prozesskosten tragen zu müssen, haben bisher viele davon abgesehen, ihr Recht einzuklagen. Selbst dann, wenn eine Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern in gleicher Weise betroffen ist, gibt es bisher wenige Möglichkeiten, Kräfte zu bündeln.
Das bedeutet, dass die Macht bisher zugunsten der Unternehmen verschoben ist. Sie haben in der Regel ein deutlich höheres Durchhaltevermögen, auch aufgrund der größeren finanziellen Mittel. Das schreckt viele Verbraucherinnen und Verbraucher ab. Manche resignieren und verzichten faktisch auf ihre Rechte. Künftig wird der Satz ‚Wer Recht hat, soll Recht bekommen‘ für die Kleinen wie für die Großen gelten.
Hier setzt unser Gesetzentwurf zu Musterfeststellungsklagen an; ich nenne sie gerne „Eine-für-alle-Klagen“. Statt wie bisher teure und langwierige Einzelverfahren führen zu müssen, können sich Verbraucherinnen und Verbraucher künftig zusammenschließen und müssen die Klage nicht einmal selber führen.
Das Gesetz, das die Durchsetzung von Verbraucherrechten stärkt, wird zum 1. November 2018 in Kraft treten. Damit können auch VW-Kunden nach dem Dieselskandal noch rechtzeitig vor der Verjährung zum Jahresende Klage einreichen. Verbraucherinnen und Verbraucher können damit vor allem aber auch schnell, effektiv und kostengünstig ihre Rechte vor Gericht durchsetzen.
Wer kann klagen?
Anerkannte und besonders qualifizierte Verbraucherverbände können gegenüber einem Unternehmen zentrale Haftungsvoraussetzungen für alle vergleichbar betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher in einem einzigen Gerichtsverfahren verbindlich klären lassen.
Die klagebefugten Verbände müssen dabei strenge Anforderungen erfüllen, unabhängig davon, ob es sich um nationale Verbände oder Verbände aus einem anderen EU-Mitgliedstaat handelt. Das ist wichtig, damit die Musterfeststellungsklage wirklich alleine im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher erhoben und nicht zu anderen Zwecken missbraucht wird.
Deshalb sind nur solche Verbände klagebefugt, die sich schon jahrelang mit der Vertretung von Verbraucherinteressen beschäftigen, die keine Unternehmenszuwendungen in größerem Umfang erhalten und die eine gewisse Mitgliederstärke hinter sich wissen. Prozessfinanzierer und Kanzleien sollen bewusst nicht Kläger sein können.
Wie läuft das Musterfestellungsverfahren ab?
Wenn von einem Fall mindestens zehn Verbraucherinnen und Verbraucher betroffen sind, dann kann ein qualifizierter klagebefugter Verband Klage erheben. Diese Klage wird dann auf Veranlassung des Oberlandesgerichts in einem Klageregister, das zum 1. November 2018 beim Bundesamt für Justiz eingerichtet wird, öffentlich bekannt gemacht. In diesem Klageregister können alle betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Ansprüche anmelden – und zwar kostenlos und ohne Anwaltszwang.
Melden sich innerhalb von zwei Monaten insgesamt mindestens 50 Betroffene an, dann kann der klagebefugte Verband die zentralen Rechts- und Sachfragen, die all diese Verbraucherinnen und Verbraucher in gleichem Maße betreffen, in der „Eine-für-alle-Klage“ gebündelt durch das Gericht verbindlich klären lassen. Individuelle Aspekte, die nur einzelne Klägerinnen und Kläger betreffen, werden bewusst nicht betrachtet, da diese für die anderen Verbraucherinnen und Verbraucher irrelevant sind und das ganze Verfahren in die Länge ziehen und verkomplizieren würden.
Der Vorteil: Mit der Anmeldung im Klageregister wird die Verjährung der Ansprüche gehemmt. Das heißt, die Verbraucherinnen und Verbraucher können den Ausgang dieses Musterfeststellungsverfahrens abwarten, ohne ein Kostenrisiko zu tragen und ohne dass Verjährung droht. Das Gerichtsurteil ist sowohl für die Verbraucherinnen und Verbraucher als auch für die Unternehmen bindend. War die Frage beispielsweise, ob eine Preiserhöhung unwirksam oder der Einbau eines Motors mit Abschalteinrichtung rechtswidrig war, steht das Ergebnis nach dem Musterfeststellungsverfahren für die beteiligten Verbraucherinnen und Verbraucher ebenso verbindlich fest wie für das Unternehmen.
Vorteile der „Eine-für-Alle-Klage“
Auf diese Weise weiß der Verbraucher, die Verbraucherin relativ schnell, wie es um die Erfolgsaussichten in dem eigenen Fall steht und kann dann den individuellen Anspruch gerichtlich oder eben auch außergerichtlich viel leichter durchsetzen. Die größte Arbeit erledigt also der Verband – wenn die Verbraucherin oder der Verbraucher dann Klage erhebt, sind die großen Brocken schon aus dem Weg geräumt. Aber auch die Unternehmen erlangen Rechtssicherheit. Bei diesem Klageinstrument steht die gerechte Entscheidung und nicht der Profit im Vordergrund. Die „Eine-für-alle-Klage“ ist für alle Beteiligten, für die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für die Unternehmen und die Gerichte deutlich effizienter und kostengünstiger als unzählige Parallelverfahren.
Es sind also nicht zwei Klageverfahren, die der eine Verbraucher und eine andere Verbraucherin führen müssen. Vielmehr kann er sich für dieses Klageregister anmelden und kann ganz in Ruhe, ohne Zeitdruck, ohne eigene Mühen, ohne nervenaufreibende Schriftsätze und vor allen Dingen ohne jegliches Kostenrisiko erst mal abwarten, wie diese Musterfeststellungsklage ausgeht. Die Musterfeststellungsklage kann entweder durch ein Urteil oder durch einen Vergleich beendet werden.
Verbraucher haben dann die klagebegründeten Tatsachen und wissen ziemlich genau, ob sie mit der individuellen Klage am Ende Erfolg haben werden. Die Frage, ob es sich also überhaupt lohnt, in dieses individuelle Verfahren zu gehen, wird beantwortet sein. Und die Gerichte müssen statt unzähliger Verfahren nur dieses führen.
Mit der „Eine-für-Alle-Klage“ helfen wir Verbraucherinnen und Verbrauchern, ihr Recht einzufordern – und das kostenlos und schnell. Das trägt zur Demokratisierung unseres Rechtssystems bei und stärkt das Vertrauen in unseren Rechtsstaat.