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In der Debatte zu Minderheitenrechten im Deutschen Bundestag hat Katarina Barley am Donnerstag, dem 3. April 2014, den vorliegenden Vorschlag der Koalition zur Änderung der Geschäftsordnung verteidigt. Die Rede im Wortlaut:

Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja nicht wirklich ein Geheimnis, dass für einige Menschen in der Bundesrepublik Deutschland diese Große Koalition nicht unbedingt die Wunschkonstellation nach der letzten Bundestagswahl war.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Doch, die Mehrheit wollte das so!)

Das hatte damit zu tun, dass diese übergroße Mehrheit in der Öffentlichkeit als erdrückend wahrgenommen und allgemein die Befürchtung geäußert wurde, die Minderheitenrechte könnten zu kurz kommen.

Nun hat der geschätzte Bundestagspräsident schon in der konstituierenden Sitzung bemerkt, dass große Mehrheiten nicht per se verfassungswidrig sind.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Genau!)

Aber daran, dass wir uns alle einig sind, dass eine funktionierende Demokratie eine funktionierende und wirkungsvolle Opposition braucht, kann ja kein Zweifel bestehen.

Den Mehrheitsfraktionen war dieses Anliegen so wichtig, dass wir es ausdrücklich im Koalitionsvertrag aufgenommen haben. Ich sage das so ausdrücklich, weil man sich das wirklich auf der Zunge zergehen lassen und auch einmal in einen internationalen und historischen Kontext stellen muss. Man muss sich das einmal vor Augen führen: Wenn sich eine Mehrheit, die, wenn man es einmal ganz salopp formuliert, alles plattmachen könnte, wochenlang damit beschäftigt, wie man der Minderheit am effektivsten und sinnvollsten bestimmte Rechte einräumen kann, dann ist dies, wenn man es mit dem Vorgehen in vielen anderen Staaten mit durchaus längerer demokratischer Tradition vergleicht, schon ein sehr bemerkenswerter Vorgang,

(Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Allerdings!)

noch dazu in einem Land, das hinsichtlich seiner demokratischen Tradition durchaus einige Anlaufschwierigkeiten hatte. Vor diesem Hintergrund möchte ich sagen, dass dieser Tag ein guter Tag für die Demokratie in Deutschland und für unsere gemeinsame parlamentarische Arbeit ist.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der erste Vorschlag unseres Bundestagspräsidenten war, hier mit einem einfachen Bundestagsbeschluss vorzugehen. Das fand die Opposition zu wenig verbindlich. Es war wohl auch ein Mangel an Vertrauen vorhanden, dass wir das wirklich ernst meinen. Aber ich glaube, dass der weitere Verlauf der Diskussionen und der Verhandlungen und auch das Ergebnis bewiesen haben, dass dieses Misstrauen nicht gerechtfertigt war. Umso erfreulicher ist es, dass wir aus der beiderseitigen Unzufriedenheit herausgefunden und sehr konstruktiv miteinander verhandelt haben. Das erweiterte Berichterstattergespräch mit den Sachverständigen wurde schon erwähnt; das war sicherlich für alle Seiten sehr hilfreich. Wir haben es uns also nicht einfach gemacht. Im Ergebnis haben wir uns von beiden Seiten angenähert. Dafür bedanke ich mich bei den Vertreterinnen und Vertretern ausdrücklich aller Fraktionen noch einmal sehr herzlich.

Wir haben nun einen Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung vorliegen. Das war aus meiner Sicht, verehrte Kollegin Keul, immer der richtige Ort, um Änderungen vorzunehmen, weil es die Bedürfnisse einer spezifischen Legislaturperiode betrifft. Wir haben in diesem Antrag auch festgelegt, dass wir von den Änderungen nicht mit Zweidrittelmehrheit abweichen können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte betonen, dass ich die gefundene Lösung für die systematisch bessere Lösung halte als die, die wir ursprünglich vorgesehen hatten; denn bisher sind im Grundgesetz Rechte für einzelne Abgeordnete, für Fraktionen und für eine bestimmte Anzahl von Abgeordneten vorgesehen. Was es nicht gibt, sind Rechte der Opposition. Ich finde es gut, dass wir mit unserem Vorschlag in der Systematik bleiben und nicht für eine Legislaturperiode ein ganz neues Instrument schaffen, nämlich Rechte von Angehörigen der Oppositionsfraktionen hier im Plenum. Wir haben damit zwei Probleme ausgeräumt. Ein Problem ist schon erwähnt worden: Der ursprüngliche Entwurf sah vor, dass alle Abgeordneten der Oppositionsfraktionen die Minderheitenrechte gemeinsam wahrnehmen. Es wurde eingewandt, dass schon das Fehlen eines Abgeordneten bzw. einer Einigung die Wahrnehmung der Minderheitenrechte verhindern könnte. Darauf sind wir eingegangen. Die jetzt gefundene Lösung ist ein sehr praktikables Instrument, auch für die Opposition; aber ich betone: auch für die Opposition.

Durch die Regelung, dass 120 Mitglieder des Parlaments die Minderheitenrechte wahrnehmen können, wird nicht mehr zwischen Angehörigen der Regierungsfraktionen und Angehörigen der Oppositionsfraktionen differenziert. Ursprünglich war vorgesehen ‑ das war das zweite Problem ‑, dass 20 Prozent der Oppositionsfraktionen bestimmte Rechte hätten wahrnehmen können. Bei den Mehrheitsfraktionen hätten es 25 oder eben auch 33 Prozent sein müssen. Aber alle Abgeordneten müssen im Grundsatz die gleichen Rechte haben; denn wir alle gemeinsam und nicht nur die Opposition kontrollieren die Regierung. Das nennt man in Deutschland Gewaltenteilung, und daran sollten wir festhalten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Natürlich haben Sie sich weiter gehende Änderungen gewünscht. Die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, in diesem Falle von der Linken, wollten mehrere Änderungen des Grundgesetzes erreichen. Das betrifft vor allen Dingen die abstrakte Normenkontrolle. Dazu nur ganz kurz: Wenn Sie vor das Bundesverfassungsgericht ziehen wollen, dann ist ein solcher Antrag auf Normenkontrolle sicherlich zulässig, wenn es um Ihre eigenen Rechte geht. Als Abgeordnete müssen Sie kein Quorum einhalten; das ist so und das bleibt Gott sei Dank auch so. Aber ich glaube nicht, dass ein solcher Antrag begründet wäre; denn im Grundgesetz selbst ist vorgesehen, dass ein Viertel der Abgeordneten das Quorum für die abstrakte Normenkontrolle ist.

(Abg. Halina Wawzyniak (DIE LINKE) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Frau Kollegin, ‑ ‑

Dr. Katarina Barley (SPD):

Ich komme gleich zum Ende. – Es wird nicht ganz einfach sein, vorzutragen, dass das Grundgesetz selbst in diesem Punkt gegen das Grundgesetz verstößt. Es ist auch nicht sachgerecht, das Grundgesetz in jeder Legislatur den veränderten Mehrheiten anzupassen. Aber vor allen Dingen ist eben die Normenkontrolle kein Minderheitenrecht, sondern eine Verfahrensart unter mehreren für verschiedene Akteure.

Kurz gesagt: Ich bin wirklich froh, dass wir eine so breite Mehrheit für die Änderung der Geschäftsordnung gefunden haben. Ich glaube, dass heute ein guter Tag für die politische Kultur ist und dass es auch ein Signal nach außen ist. Dafür möchte ich mich sehr herzlich bedanken.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)