
Eine hochverdiente und überfällige Entscheidung: Die Europäische Union nimmt die Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien und Albanien auf. Warum ist das ein Grund zur Freude? Und wieso war letzte Woche möglich, was im Herbst noch von mehreren Mitgliedstaaten blockiert wurde?
Die EU hat dem westlichen Balkan, das heißt Serbien, Bosnien- Herzegowina, Montenegro, Kosovo, Albanien und Nordmazedonien bereits 2003 die Perspektive auf einen EU-Beitritt gegeben, da sie historisch und geographisch mit Europa verbunden sind. Die europäische Erweiterung liegt ohne Zweifel im gemeinsamen Interesse dieser Länder und der EU. Denn der Prozess ermöglicht es der EU, Reformen anzustoßen und sie dann auch zu unterstützen. So kann die EU ihren Einfluss in einer Region geltend machen, in der die Türkei, Russland und China stetig versuchen, Macht zu gewinnen.
Für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen gibt es festgelegte objektive Kriterien. Bereits im Oktober letzten Jahres war klar: Albanien und Nordmazedonien haben weitreichende Fortschritte erreicht. Die beiden Staaten haben die von der EU verlangten Bedingungen erfüllt, um in die nächste Stufe der Verhandlungen einzutreten. Zwei konkrete Beispiele: Albanien hat erhebliche Anstrengungen unternommen und eine umfangreiche Justizreform auf den Weg gebracht. Die sozialdemokratische Regierung in Nordmazedonien hat es in weniger als zwei Jahren geschafft, den drei Jahrzehnte währenden Namensstreit mit Griechenland beizulegen. Folglich hat sich das Land von „Mazedonien“ in „Nordmazedonien“ umbenannt.
Trotzdem wurde die Eröffnung der Gespräche vom französischen Präsidenten Macron, aber auch von Dänemark und den Niederlanden blockiert. Noch mal: Es ging bei der Entscheidung nur um die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Mit den Gesprächen beginnt erst ein komplexer und jahrelanger Prozess, in dem die Beitrittskandidaten erneut zahlreiche Bedingungen der EU erfüllen müssen. Die Blockade hat die Glaubwürdigkeit der EU und das Vertrauen daher stark beschädigt und die Erweiterungspolitik – zumindest kurzfristig – zu einem Spielball politischer Interessen gemacht. In Nordmazedonien hat sie sogar eine Regierungskrise ausgelöst. Anfang Januar trat der sozialdemokratische Ministerpräsident Zaev zurück, die Neuwahlen wurden wegen der Corona-Krise auf unbestimmte Zeit verschoben. Das Land wird derzeit von einer Übergangsregierung geführt.
Um die Blockade zu lösen, ist die EU-Kommission auf die Bedenken einiger Mitgliedstaaten eingegangen und hat Anfang Februar einen Entwurf für das Aufnahmeverfahren neuer EU-Mitglieder vorgestellt. Das war in erster Linie ein Schritt auf Macron zu, verbunden mit der Erwartung, dass er seiner Verantwortung nachkommt und die Haltung gegenüber Nordmazedonien und Albanien ändert.
Der Entwurf der EU-Kommission betont: Die vollwertige EU-Mitgliedschaft muss das Ziel von Beitrittsverhandlungen bleiben, aber der Beitritt eines Landes wird nur dann erfolgen, wenn die notwendigen Bedingungen erfüllt sind. Außerdem wird ein flexiblerer Ansatz vorgeschlagen, die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Beitrittskapiteln berücksichtigt und den Ländern hilft, ihre Reformprioritäten zu fokussieren. Alles in allem ein guter Vorschlag, in dem viele langjährige Forderungen der Sozialdemokraten enthalten sind.
Grünes Licht für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen von den Europaministern der 27 EU-Staaten und die Zustimmung vom Europäischen Rat gab es dann endlich letzte Woche: eine hochverdiente Entscheidung die zeigt, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg – selbst in Zeiten der Corona-Pandemie! Ein Grund zur Freude und ein überfälliges Signal, dass wir die Länder auf ihrem Weg in die EU unterstützen.
Wie geht es jetzt weiter? Die EU-Kommission wird einen Rahmen mit Grundsätzen für die Verhandlungen mit den beiden Ländern vorschlagen. Die ersten Regierungskonferenzen sollen so früh wie möglich nach der Annahme der Verhandlungsrahmen einberufen werden. Ich werde mich im Europäischen Parlament weiter dafür einsetzen, dass das Thema Rechtsstaatlichkeit im Erweiterungsprozess nicht zu kurz kommt. Denn Rechtstaatlichkeit, die Achtung der Menschenrechte und die Medienfreiheit sind genau die Bereiche, in denen die Verbindung zwischen Fortschritt und Finanzierung am stärksten sein muss.