Seit mehreren Jahren zerstört die polnische Regierung systematisch die Unabhängigkeit der polnischen Justiz. Gerichtsorganisation, Richterwahl, Disziplinarmaßnahmen – überall wurden neue Regeln eingeführt, die regierungskritische Entscheidungen möglichst ausschließen sollen. Vor wenigen Wochen sorgte das polnische Verfassungsgericht nun für einen neuen Paukenschlag. Es urteilte, dass zentrale Teile der EU Verträge unvereinbar mit der polnischen Verfassung seien. Was nach einem Nischenthema für JuristInnen klingt, ist in Wahrheit eine ernsthafte Gefahr für die Zukunft der Europäischen Union.
Mit dem Urteil stellt sich Polen außerhalb der europäischen Rechtsgemeinschaft. Das ist so besorgniserregend, weil das europäische Recht der Kitt ist, der unsere europäische Gemeinschaft zusammenhält. Beim Beitritt zur Europäischen Union haben alle Mitgliedsstaaten akzeptiert, sich an dieses gemeinsame europäische Regelwerk zu halten. Ein zentraler Bestandteil davon ist der Europäische Gerichtshof. Er sorgt für eine einheitliche Auslegung des europäischen Rechts. Dass die PiS Regierung in Warschau durch ein Verfassungsgericht, welches sie im Vorfeld mit Getreuen besetzt hat, ein Urteil geradezu „auf Bestellung“ bekommt, mit dem sie künftig die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) einfach ignorieren könnte, ist ein starkes Stück. Dazu muss man wissen, dass der EuGH bereits in vielen Fällen gegen Maßnahmen der PiS-Regierung und ihren Umbau des polnischen Justizsystems geurteilt hat. Erst kürzlich hat er eine Strafzahlung von einer Million Euro gegen die polnische Regierung verhängt, pro Tag (!), an dem rechtswidrige Teile der Justizreform nicht zurückgenommen werden.
Warum ist es aber so schlimm, wenn die polnische Regierung weiter die europäischen Regeln ignoriert? Zunächst verschlechtert es die Situation der vielen mutigen Richterinnen und Richter in Polen, die sich gegen die politische Vereinnahmung der Justiz stellen und derzeit willkürlich mit Disziplinarstrafen belegt werden. Oder für die Frauen in Polen, denen das PiS-treue Verfassungsgericht den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen fast unmöglich gemacht hat. Letztendlich kann die Rechtsstaatskrise in Polen sogar zum Zerfall der Europäischen Union führen. Wie soll etwa der Austausch von Daten der Sicherheitsbehörden zwischen den Mitgliedsstaaten funktionieren, wenn es nicht in jedem Staat eine unabhängige Justiz gibt? Wie sollen Unternehmen grenzüberschreitend investieren, wenn unklar ist, ob sie überall Rechtssicherheit haben? Wie wollen wir künftig europäische Gesetze als Europäisches Parlament mit dem Rat der Mitgliedsstaaten beschließen, wenn einzelne Länder sich künftig heraussuchen, ob sie sich daran halten? Ich hoffe, dass diese Beispiele deutlich machen, weshalb ich mich so klar gegen den Rechtsbruch der polnischen Regierung stelle und für das europäische Recht kämpfe.
Denn das Beispiel macht Schule. Andere europafeindliche Regierungen, wie die Viktor Orbans in Ungarn, haben das Urteil aus Polen bereits begrüßt. Wenn die Europäische Union nicht zu einer wehrhaften Demokratiegemeinschaft wird, dann wird ihr die Geschäftsgrundlage entzogen. Die Europäische Kommission als Hüterin der EU-Verträge sollte entschiedener gegen die immer neuen Rechtsbrüche und Provokationen vorgehen und EU Gelder einbehalten. Auch die anderen Mitgliedsstaaten sollten Klartext mit den europafeindlichen Regierungen unter ihnen reden. Letztendlich haben es die Bürgerinnen und Bürger aber selbst in der Hand, ob sie ihre Stimmen weiterhin Parteien wie der PiS in Warschau oder der Fidesz in Budapest geben möchten. Sowohl in Ungarn als auch in Polen ist die weite Mehrheit der Bevölkerung äußerst proeuropäisch eingestellt. Ich habe also Hoffnung.