Die Lage in Belarus spitzt sich immer weiter zu. Seit Monaten bringt der belarussische Staatspräsident Alexander Lukaschenko MigrantInnen an die Grenze zur EU. Er möchte sich so für die verhängten EU-Sanktionen gegen Belarus rächen und Druck auf die EU ausüben. Die Leidtragenden sind vor allem die Menschen, die sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen auf den Weg in die EU machen.
Seit 1994 herrscht in Belarus Alexander Lukaschenko. Die Präsidentschaftswahlen im August 2020 waren von Verhaftungen seiner Gegenkandidaten und Wahlmanipulationen überschattet. Tausende Menschen gingen aus Protest auf die Straße. Die Demonstrationen wurden blutig niedergeschlagen, viele Menschen wurden verhaftet. Die Europäische Union hat die Wahl nicht anerkannt und sieht Lukaschenko nicht als legitimen Präsidenten des Landes an. Im Zuge der brutalen Unterdrückung der Opposition verhängte die EU außerdem Sanktionen. Für zwei Oppositionspolitikerinnen habe ich Patenschaften übernommen, um sie zu unterstützen und die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Unrecht zu lenken, das in Belarus geschieht.
Im August 2021 entschied sich das belarussische Regime dazu, die EU unter Druck zu setzen und damit von der Lage im eigenen Land abzulenken. Menschen aus dem Nahen Osten und Nordafrika ins Land bringen sie an die Grenze zu Polen, Litauen und Lettland. Wie viele MigrantInnen sich mittlerweile an der Grenze zur EU aufhalten, ist nicht klar. Geschätzt wird die Zahl auf etwa 20.000. Täglich werden sie von den belarussischen Grenzbeamten an die Grenzübergänge gebracht. Dort schaffen es einige über die Grenze. Die meisten jedoch werden an der Grenze von den lokalen Einsatzkräften abgefangen und wieder zurückgewiesen. Auch von illegalen Push-Backs, also Zurückweisungen nach Grenzübertritt, wird berichtet. Die Flüchtenden irren also in den Grenzgebieten umher und finden keine Anlaufstellen, Unterkunft oder Nahrung.
Die humanitäre Lage ist katastrophal. Verschärft wird die Lage dadurch, dass Hilfsorganisationen in der Region kaum präsent sind. Das belarussische Regime hat in den letzten Monaten zahlreiche Nicht-Regierungsorganisationen unter dem Vorwand aufgelöst, diese seien regierungskritisch. Aber auch auf polnischer Seite haben es Hilfsorganisationen und Freiwillige schwer. Nachdem die polnische Regierung im Grenzgebiet zu Belarus den Ausnahmezustand ausgerufen hat, darf das Areal weder von Helfenden noch von Pressevertretern betreten werden. Damit sind nicht nur die Menschen, sondern auch die freie Berichterstattung in Gefahr.
Lukaschenko verfolgt ein perfides Ziel. Er instrumentalisiert Geflüchtete, um die EU zur Rücknahme der Sanktionen zu bewegen. Kurz nach den zuletzt verhängten Sanktionen im Juni 2021 nach der erzwungenen Landung einer Ryanair Maschine hatte Lukaschenko öffentlich angedroht, die EU mit MigrantInnen und Drogen zu überschwemmen.
Lukaschenkos Plan geht jedoch nicht auf. Die EU lässt sich nicht erpressen. Im Gegenteil: Im Oktober haben die EU-Außenminister beschlossen, neue restriktive Maßnahmen gegen Belarus zu ergreifen. Dabei könnten erstmals auch Sanktionen gegen die Schleuserunternehmen selbst, also vor allem Fluglinien und Reiseunternehmen, verhängt werden. Die Unterstützung der Länder an der EU-Außengrenze muss mit der Einhaltung der Menschenrechte einhergehen. Die Grenze zu Belarus darf kein rechtsfreier Raum sein. Langfristig müssen sich die Mitgliedsstaaten bei der Schaffung eines neuen gemeinsamen Asylsystems mit einem fairen Verteilungssystem bewegen.